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1. Was ist eine Krise?
In unserem alltäglichen Sprachgebrauch wird das Wort „Krise“ meistens benutzt, unsere Erregung bezüglich eines Ereignisses auszudrücken oder um die Zuspitzung eines Problems zu verdeutlichen. So zum Beispiel in den Formulierungen: „Ich krieg `ne Krise“ oder „Krisensitzung“, wobei es sich hierbei selten um wirkliche ernste Krisen handelt.
Niemand kommt gerne in eine Krise, denn der Begriff wird immer Negativ aufgefasst, da der Zustand einer Krise natürlich nicht angenehm ist. Welche großen Chancen einer Entwicklung und Wandlung der Erlebens- und Verhaltensweisen eine Krise in sich birgt, ist jedoch den meisten Menschen nicht bewusst.
Das Wort Krise stammt von dem lateinischen Wort: „crisis“ und bedeutet Scheidung, Streit, Entscheidung, Urteil und kann in unserem Sprachgebrauch durch Höhe- und Wendepunkt und Veränderung in Form von Zuspitzung erweitert werden. Im Chinesischen bedeutet das Wort Krise gleichzeitig auch Chance.
Verena Kast versteht unter Krise die Einengung bzw. Klemme, in der sich das ganze Leben
auf ein Problem reduziert, (Kast, 1989).
Der oder die Betroffene erlebt Angst, Panik, Hilflosigkeit, Ausweglosigkeit und fühlt sich in seiner ganzen Identität und Kompetenz bedroht. Es entsteht ein gefühltes Ungleichgewicht zwischen der subjektiven Bedeutung des Problems und den Bewältigungsmöglichkeiten, die dem Betroffnen zur Verfügung stehen.
Durch die existenzielle Not, die derjenige spürt, baut sich in ihm ein unabänderbarer Druck auf, der eine Veränderung von Verhaltens- und Erlebensweisen erzwingt. Menschen, die sich in einer Krise befinden, ziehen sich meist zurück, um sich auf sich selbst und das Problem mit ihrer ganzen Kapazität konzentrieren zu können, was dann nicht selten sozialen Ausschluss bedeutet.
Eine Krise zeichnet sich außerdem dadurch aus, dass sie zeitlich begrenzt ist und durch alte Strategien nicht bewältigt werden kann. Wer sich in einer Krise befindet, steht an einem Punkt einer notwendigen Entscheidung, die entweder positiv ausgeht, in Form von Lernen neuer Strategien und Entwicklung eines neuen Identitätserlebens, oder aber negativ in einer Depression oder einem Suizidversuch endet. Aufgrund der extremen Angst durch die existentielle Bedrohung, die wir in dieser Situation empfinden, wird der Entscheidungsprozess erschwert oder verhindert, deswegen wird bei Kriseninterventionen als erstes versucht, die Einengung und damit die Angst etwas zu lösen.
Eine weiteres, häufig anzutreffendes Merkmal einer Krise sind die Schuldgefühle, die Betroffene bezüglich ihres Verschuldens an ihrer Situation oder des „etwas Versäumt haben“ empfinden. Schuldgefühle dienen dazu, uns darauf aufmerksam zu machen, wo wir in unserem Leben etwas verändern sollten. Sie können als Hinweis auf wesentliche eigene Lebensmöglichkeiten sein, die wir bisher noch nicht genutzt haben, werden aber manchmal neurotisch und damit unproduktiv, was bedeutet, dass unsere Gedanken nur noch um unsere „Schuld“ kreisen, anstatt konstruktiv etwas zu ändern. Hierzu ist anzumerken, dass das nicht bei allen Menschen, die eine Krise durchleben, Schuldgefühle auftreten. (Kast, 1989)
Wie eng Weiterentwicklung und Krisen zusammen hängen, zeigt auch das Entwicklungsmodell nach Erikson (Erikson 1973), der den Lebensverlauf des Individuums in acht Phasen unterteilt, die er anhand von acht Krisen definiert. Laut Erickson kann Entwicklung nur dann stattfinden, wenn die anstehende Krise überwunden wurde, was auch die Vorraussetzung für das Bestehen der folgenden Krisen ist.
Krisen geben uns die Chance, anstehende Entwicklungsschritte nach zu holen, die wir aufgeschoben haben.
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